Phageom und Mikrobiom

Dezember 2016

Da das Phageom (eng. phageome) ein Großteil unseres Mikrobioms darstellt, es immer mehr Hinweise gibt wie wichtig es für unsere Gesundheit ist, und es leider bis jetzt von den deutschsprachigen Medien vollkommen ignoriert wird, will ich hier das bis jetzt (Dezember 2016) bekannte aus der englischen Fachliteratur zusammentragen.

Phage

Phagen

Phagen sind schon sehr lange bekannt und wurden von Frederick Twort im Jahre 1915 und später von Felix d’Herelle 1917 entdeckt. Phagen sind alle Viren die Bakterien zu ihrer Vermehrung benötigen, auf ein Bakterium sollen mengenmäßig etwa 10 Phagen kommen. Damit hat jeder Bakterienstamm seit Jahrmillionen mit seinen eigenen spezifischen Viren zu kämpfen, denn Phagen sind sehr wirtsspezifisch. Natürlich haben Bakterien ein Immunsystem und können sich auch Phagen zu Nutzen machen. So befinden wir uns in  einem andauernden Wettlauf der Evolution von Bakterien gegen Phagen und auch von Bakterien und Phagen gegen Bakterien.

Ja, wir befinden uns mittendrin. Unser Körper hat etwa zwischen 10 bis 900 Billionen Zellen, auf eine menschliche Zelle kommt etwa eine Bakterie, das macht dann mehrere Billiarden Phagen pro Mensch (1+2).

Es gibt somit eine unerforschte Unmenge an verschiedenen Phagen, da es ja auch Unmengen an verschiedenen, zum Teil unerforschten Bakterien gibt. Am besten erforscht sind Phagen von Escherichia coli, sogenannte T4-Phagen und Lambda-Phagen (Phage λ). Dies hat damit zu tun, dass E. coli, das sogenannte Haustier von Biologen, sich relativ einfach im Reagenzglas halten lässt und im Normalfall für den Menschen harmlos ist. Phagen sind zwischen 20 – 200 nm gross. Der relativ grosse T4 Phage ist mit 200 nm einer der Grossen. E. coli ist im Vergleich dazu 0.5 μm x 2 μm, also 500 x 2000 nm gross.

Ein Phage injiziert sein Genom aus DNA oder RNA in eine Bakterienzelle.

Vermehrung der Phagen

Da es sehr viele verschiedene Phagen gibt, gibt es auch genau so viele Strategien der Phagen eine Bakterienzelle zu “entern”. Aber eins ist allen Viren gemeinsam: Sie brauchen eine Zelle, um sich zu vermehren. Bei Phagen unterscheidet man grundsätzlich zwei verschiedene Gruppen, wobei die Übergänge fließend sein können.

  1. Lytische Phagen: Der Phage vermehrt sich sofort in der Zelle explosionsartig und bringt diese dann zum platzen und freisetzten neuer Viren.
  2. Lysogene Phagen: Der Phage baut erst mal nur seine DNA in das Bakterium mit ein und tötet diese nicht sofort.

Das Mikrobiom

Als das Mikrobiom wird die Gesamtheit aller Mikroorganismen bezeichnet, die ein Lebewesen besiedeln. Heute wird auch das Virom mit dazu gezählt. Das Mikrobiom beseht also aus Bakterien, Pilzen, Algen, Protozoen und eben dem Virom mit dem Phageom. Ein Teil des Mikrobioms ist die Darmflora.

Das Phageom

Das Virom ist die Gesamtheit aller Viren die ein Lebewesen besiedeln. Teil des Viroms ist das Phageom. Also der Teil der Viren die man auch als Bakteriophagen bezeichnet und die sich ausschließlich in Bakterien vermehren.

phagen2

 

 

Forschung zum Phageom

Im September 2016 ist ein faszinierendes Paper zum Phageom in PNAS erschienen:

Healthy human gut phageome (3)

Die Veröffentlichung dreht sich um das “healthy gut microbiome”, also eine gesunde Darmflora. Teil dieser “gesunden Darmflora” ist ein gesundes Phageom. Dieses gesunde Phageom hilft und unterstützt eine gesunde Darmflora. Das gesunde Phageom besteht aus etwa 35-2800 verschiedenen Arten an Phagen (5), von denen die meisten absolut unbekannt sind und keine Ähnlichkeit zu bekannten Phagen haben.

In der Studie zum “gesunden Phageom” wurden 44 Gruppen von Bakteriophagen untersucht, die bei gesunden Probanden gefunden wurden. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa (chronisch-entzündlichen Darmerkrankung) ein verändertes Phageom haben. Es wird eine direkte Beziehung zwischen einem gesunden Mikrobiom und einem gesunden Phageom gezogen.

Dieser Abschnitt kann die nächsten Jahre (hoffentlich) mit interessanten Forschungen erweitert werden.

Spekulationen zum Phageom

Das Phageom wird allem Anschein nach in den ersten Lebenswochen vererbt und scheint essentiell für das weitere Leben zu sein. Es ergeben sich Hinweise darauf, dass unser Körper Phagen zur virologischen Abwehr von bakteriellen Erkrankungen einsetzen kann. Auch scheint das Phageom ausgesprochen wichtig beim horizontalen Gentransfer. So werden nicht nur Antibiotikaresistenzen auf Bakterien verteilt, auch können Phagen für den Menschen nützliche Gene konservieren; z.B. Gene “guter” Bakterien, nach einem Einsatz von Antibiotika.

Mit den Möglichkeiten der Tiefen-Sequenzierung (Sequenzierung im Hochdurchsatzverfahren) wäre es heute möglich, einen tieferen Einblick in das Phageom zu bekommen. Leider sind die Prioritäten in der deutschen Wissenschaft heute deutlich wo anders gesetzt.

phagen2

Weiterführende Veröffentlichungen über Phagen jenseits der Englischen Fachliteratur habe ich hier zusammengetragen https://hmjaag.de/phagenlinks/

 

(1) The phage-host arms race: Shaping the evolution of microbes. Adi Stern, Rotem Sorek. BioEssays (2011).

(2) Revised estimates for the number of human and bacteria cells in the body. Ron Sender, Shai Fuchs, Ron Milo. Biorxiv (2016).

(3) Healthy human gut phageome, Manrique et al., PNAS (2016)

(4) Gut microbiota modulate host immune cells in cancer development. Erdmann and Poutahidis, Free Radical Biology and Medicine (2016).

(5) The human gut virome: Inter-individual variation and dynamic response to diet. Minot et al. Genome Research (2011).

 

 

Der Text und die Abbildungen dürfen unter den Bedingungen der Creative Commons Attribution Share-Alike license (CC-BY-SA) gerne ganz oder teilweise kopiert und zitiert werden.

4 thoughts on “Phageom und Mikrobiom

  1. Peter Jans

    Hallo, Frau Dr. Haag,
    mit großem Interesse lese ich noch ihren Blog zu den sich in den Vordergrund schiebenden Phagen, und mit ebenso großem Interesse beschäftige ich mich damit, und dem oralen und intestinalen Mikrobiom. Da ich erfahren habe, dass der Mensch in der Mikrobiota auch Phagen hat, stelle ich mir folgende Fragen:
    warum greifen die nicht die Bakterien an?
    Phagencocktails als Einzelverordnung vom HeilpraktikerIN sind erlaubt bei bspw. Zystitis.
    Aus Beidem ergibt sich für mich die These, dass Mikro- und Phagiom evolutionär schon immer in Symbiose existierten, und den Menschen vor Krankheiten schützte. Erst durch das Aufkommen neuartiger Bakterienstämme geriet dieses Gleichgewicht ins Ungleichgewicht zu Gunsten der Bakterien, und die Menschen wurden krank. Daher müssen heute neue Phagentherapien entwickelt werden, die ja dann immunisieren gg. die Bakterien, gg. die sie entwickelt wurden.
    Ist dieser Denkansatz zu radikal? Evidenzbasiert ist er jedenfalls nicht. Aber in einer zukünftigen Medizin ohne Antibiotica denkbar –
    Was denken Sie?
    Beste Grüße,
    Peter Jans Krefeld

    Reply
    1. Hannah

      Hallo,
      erst mal, wie kommen Sie darauf, dass Phagen nicht Bakterien angreifen? Natürlich tun sie dies.
      Allerdings sind Phagen sehr spezifisch. Also man schätzt, dass jede Bakterie etwa zehn verschiedene Phagen hat. Wobei sogar Arten von Bakterien (eine Art ist z.B. Staphylococcus aureus) verschiedene Serotypen haben und selbst diese haben verschiedene Phagen. Ist also alles sehr spezifisch.

      Deswegen macht man Phagencocktails, damit man eine Mischung Phagen hat und hofft, dass ein oder zwei auf die Bakterien passen. Noch geschickter als Phagencoktails wäre es für das spezifische Bakterium das Ärger macht einen genau passenden Phagen zu suchen. Genau da hin geht momentan die Forschung.

      Viren, (nicht anderes sind Phagen) gibt es schon viel länger als Menschen und sogar länger als Bakterien. Alles ist Teil der Evolution. Ich habe hier mal versucht die Evolution bisschen zu erklären, da viele eine falsche Vorstellung davon haben: https://hmjaag.de/evolution-und-krebs/

      Und ja, die These, dass Menschen immer schon immer ein Phageom hatten stimmt natürlich, auch dass im “gesunden” Mikrobiom Phagen und Bakterien im Gleichgewicht leben. Symbiose ist vielleicht sogar ein passendes Wort. Es gibt nämlich Bakterien die sozusagen “Kriegsführung” mit Phagen machen, gegen von ihnen unerwünschte andere Bakterien.

      Was soll heißen “aufkommen neuartiger Bakterienstämme” ? Sie meinen, wenn sich der Mensch mit Bakterien infiziert, für die er gerade keine Phagen hat? Dafür gibt es ja auch das Immunsystem. Aber ja, wenn dann alles nicht gut läuft, wird der Mensch krank.
      Dann sind Phagen überall und da sie sich noch schneller als Bakterien vermehren haben sie evolutionär etwas voraus. Es gibt einen ständigen evolutionären Wettlauf zwischen Bakterien und Phagen.

      Dann kommen die Begriffe etwas durcheinander “immunisieren” tun Phagen nicht. Phagen brauchen Bakterien, um sich zu vermehren. Das tun sie, indem sie ganz bestimmte Bakterien “kapern” und zwingen ihre RNA zu vervielfältigen. Wenn die Bakterie deswegen platzt, hat es den Sinn neue Phagen freizusetzen.

      Eine Phagentherapie ist einfach nur das “benutzen” von Phagen, um bestimmte Bakterien anzugreifen. Wenn also ein Phagencocktail nicht wirkt, dann weil er nicht auf die Bakterien passt. Dann muss man nicht eine neue Therapie entwickeln, sondern passende Phagen finden. Diese sucht man meistens dort wo die Bakterien sind. Ich hatte vor 10 Jahren mal eine Phagenjagd hier beschrieben: https://hmjaag.de/phagenjagd1/

      Ihr Denkansatz ist nicht radikal, aber es ist meistens in der Natur alles sehr viel komplexer, als man es sich vorstellen kann. Es gibt Milliarden verschiedene Phagen, davon kennen wir weniger als 1 Prozent. Wo es momentan sehr spannend ist, ist in den Meeren. Dann gibt es Riesen- und Jumbophagen die man gerade entdeckt.

      Eine Medizin ohne Antibiotika ist aber ganz sicher nicht die Zukunft. Gerade mit Antibiotika kann man sehr gute Phagenbehandlung durchführen. So gehen Phagen oft durch die Pumpen in Bakterien die für die Antibiotikaresistenz verantwortlich sind. Schauen Sie mal, auch ein aktuelles Thema, aber da hatte ich die Efflux-Pumpen erklärt: https://hmjaag.de/mikrobiom-glyphosat/
      Ich hoffe ich habe mich halbwegs klar ausgedrückt. Sie können gerne nachfragen.
      Wie gesagt, alles ist halt sehr komplex.

      Viele Grüße
      Hannah

      Reply
      1. Peter Jans

        Hallo, darf ich Hannah sagen?,
        Entschuldigung für die verspätete Antwort, aber ich hab’s erst grade entdeckt, weil man ist ja so gewöhnt an Antwortbenachrichtigungen.
        Erst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, deren Links ich mir erstmal zu Gemüte führen muss. Die dann sicher aufkommenden Fragen stelle ich dann anschließend.
        Bis denn dann,
        Peter

        Reply
        1. Hannah

          Hallo Peter,
          kein Problem.
          Wundert mich aber, dass keine automatische E-Mail gekommen ist. Irgendwie landet das gerne mal im Spam.

          Viele Grüße
          Hannah

          Reply

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